Die Geschichte des Hedwigshauses
von Albert Nagel

Das Hedwigshaus ist sicherlich eines der geschichtsträchtigsten und bekanntesten Gebäude in Erlenbach und weithin in der Südpfalz bekannt. Das eingeschossige und denkmalgeschützte Gebäude von 1810 besitzt ein Mansardenwalmdach, die Viereckanlage betritt man durch ein Tor aus Sandsteinsäulen. Das alles weist auf einen ehemals wohlhabenden Bauherrn hin.

Wie es zu seinem Namen kam
In Erlenbach soll einst eine schöne Maid mit Namen Hedwig gewohnt haben. Der Pfälzer Heimatdichter August Becker aus Klingenmünster hat diesem Mädchen einen eigenen Roman mit dem Titel „Hedwig“ gewidmet. Die Geschichte Beckers ist zwar eine Erzählung, der Dichter hat jedoch in seinen Büchern die Landschaft und ihre Menschen ziemlich genau porträtiert. Deshalb hat sie streckenweise kulturgeschichtliche Züge. Den Roman schrieb Becker in seiner Münchener Zeit (die Pfalz gehörte seit 1816 zum Königreich Bayern), gedruckt wurde er 1868. Der Roman beschreibt eine Liebesgeschichte. Leutnant von Waldenburg wird überraschend von München in die Garnison Landau versetzt. Zunächst hadert er mit seinem Schicksal, lernt dann aber langsam die Pfalz kennen. Bei einem Burgfest auf der Madenburg lernt er Hedwig kennen und lieben. Dass Hedwig aus Erlenbach längst einem anderen versprochen ist und er selbst die Cousine heiraten soll, führt zu dramatischen Verwicklungen, die jedoch zum Happy-End führen. In Anlehnung an den beliebten Roman wurde das Haus in Erlenbach, in welchem die Romanfigur gelebt haben soll, bald als Hedwigshaus bezeichnet.

Der Erbauer des Hauses
Der Roman ist bis heute beliebt, bis 2017 erschienen mindestens 15 Auflagen. Ob der Roman auch einen geschichtlichen Hintergrund hat, ist schwierig zu sagen. Nach Studium der Kirchenbücher war der Vorname Hedwig in der Gegend nicht gebräuchlich. Wie in der Einleitung des Romans erläutert, hat ihn der Dichter wahrscheinlich gegen einen anderen ausgetauscht. Nach einer Inschrift im Sturz der Haustür, wurde das Haus im Jahre 1810 durch „Franz Dahm - B.M.“ errichtet. Dahm war wie sein Vater Dorfschultheiß, das B.M. bedeutet „Bürgermeister“. Als herrschaftliche Beamte emigrieren die Dahms in der Französischen Revolution ins Rechtsrheinische, kommen jedoch nach der Amnestie wieder zurück. Der ehemalige Schultheiß wird Bürgermeister in Erlenbach. 1815 wird Dahm sogar Bürgermeister der Verwaltungsgemeinschaft Erlenbach/Schlettenbach/Bobenthal/ Lauterschwan. Er stirbt am 26.12.1825, sein Grabstein ist auf dem Erlenbacher Friedhof erhalten. Seine Schwester Barbara heiratet am 8.5.1792 den „Jägerburschen“ Johannes Stephan vom Faunerhof/Fischbach. Vielleicht lieferte dieses ungleiche Paar, der arme Jägerbursche mit der wohlhabenden Schultheißen-Tochter, den Stoff für Beckers Roman Hedwig. Wie erwähnt, hat der Dichter die Namen bewusst ausgetauscht, in der Familie Dahm gab es keine Hedwig. Er erwähnt aber mehrmals, dass der Mädchenname in der Pfalz häufig wäre. Dies träfe auf Barbara oder Bärbel auf jeden Fall zu, in diesem Fall wäre die Hedwig eigentlich die Barbara.

Beschädigung im Zweiten Weltkrieg
Das Hedwigshaus überstand die vielen Kriege im Grenzgebiet, sei es den deutschfranzösischen Krieg 1870, wie auch den Ersten Weltkrieg 1914-18. Der Zweite Weltkrieg setzte dem Haus jedoch arg zu. Am 19. März 1945 wurde das Dorf Erlenbach von den Amerikanern mit 5 Bombenteppichen belegt. Nach den heute zugänglichen Quellen der US AIR FORCE hatten an diesem Morgen 19 B-26 Bomber zunächst 300 Sprengbomben (insgesamt 35,37 Tonnen) auf Erlenbach und den Westwall abgeworfen, in einer zweiten Welle 27 Bomber nochmals 428 Sprengbomben (48,53 t). Bei diesem Inferno kamen neun Erlenbacher ums Leben, die am Morgen noch ihr Vieh versorgten. Nach dem Inferno sah es im Dorf furchtbar aus. Ein Zeitzeuge: „Die Straßen lagen voll mit Schutt, Brettern, Balken und Dachziegeln. Alle Häuser waren kaputt, die Dächer abgedeckt. Vom Hedwigshaus standen nur noch die Mauern“. Das Dach wurde damals also vollkommen beschädigt. Aber auch was noch stehen blieb erlitt großen Schaden. So ist noch heute im 1. Obergeschoß ein Schaden am Holzgeländer und der Treppe zu sehen, welchen ein Bombensplitter verursacht hat. Ebenso Schäden am Dachgebälk.

Aufbau und Erbteilung
Wie alle Häuser im Dorf wurde nach dem Krieg auch das Hedwigshaus wieder aufgebaut, das Dach erneuert und zu Wohnzwecken hergerichtet. In den folgenden Jahrzehnten wurden Haus und Hof durch Erbteilung aufgeteilt. Es gehörte jetzt einer Erbengemeinschaft mit verschiedenen Parteien, was offensichtlich zum Problem wurde. So hat man das Haus in der Längsachse aufgeteilt, die Straßenseite gehörte einer Partei, die Hofseite der anderen. Die
Straßenseite bekam die Hausnummer eins, die andere im gleichen Haus die Nummer drei. Unter diesen Vorzeichen zu renovieren ist schwierig. So bekam einmal die vordere Hälfte einen neuen Außenanstrich, an der hinteren Hälfte blätterte der Putz munter weiter. Ein enormer Sanierungsstau baute sich mit der Zeit auf. Zuletzt stand das Haus gut zehn Jahre leer.

Dorfcafé bringt neues Leben
Ortsbürgermeister Dirk Eichberger hat das barocke Gebäude im Dorf mit der Hofanlage schon immer gefallen. 2018 erwarb er die gesamte Anlage und begann unverzüglich zu sanieren. Seine Maxime hierbei: „Alles was erhalten werden kann, soll original bleiben“.
Behutsam aber bestimmt ist er in Abstimmung mit dem Denkmalschutz und den Baubehörden das Werk angegangen. Nach zweieinhalbjähriger Fleißarbeit konnte Eichberger am 4. Juli 2021 das „Café Hedwigshaus 1810“ eröffnen, mit Biergarten und 4 Gästezimmern im oberen Stock. Damit konnte das Hedwigshaus nicht nur gerettet werden, das Dorf erhielt auch einen zusätzlichen schmucken Treffpunkt.

Rätselhafter Steinplatten-Fund
Als beim Umbau des Hauses der Putz im Erdgeschoss entfernt wurde, gab es eine Überraschung. Auf der Rückseite einer Mauernische kam eine Sandsteinplatte mit Inschrift zu tage, aber das rechte Drittel der Platte fehlte. Folgender Text konnte von den Heimatforschern Wolfgang Schultz und Albert Nagel entziffert werden, wobei die fehlenden Stellen (in Klammer gesetzt) vorsichtig und sinngemäß so ergänzt wurden, wie sie sich aus den historischen Begebenheiten erschließen:

„Anno XII MDCC(…?)
Alß Ihro Churfirstliche zu Pfa(lz das Amt Berwartstein)
denen Freyherren von W(aldenburg lehnten, wurde auch)
Ihne dieser orth und das (Schloß übergeben. Doch waren)
anbey Die Unterthanen (dieser Herrschaft)
in einem recht betriebt und sehr (schlimmen Zustand)
man suchet daher andere milltere (neue Herren)
da vecht gott durch dhat und O(bsorge)
auch unß In Diß Freyherrn von (Waldenburg Besitz)
und dessen all Vormünders p meinung (so dass wieder)
alles geheilet und Hergestellet word(en ist).“

Die Jahresangabe ist ungewöhnlich. Genau hinter dem MDCC (1700 ?) befindet sich die Bruchstelle, womit die Jahreszahl unvollständig genannt wird. Die römische Zwölf vor der Jahreszahl ist eigentlich deplatziert. Erklärbar wäre sie für die Zeit der Französischen Revolution. Um den christlichen Kalender den Garaus zu machen wurde damals ein eigener Revolutionskalender verordnet, beginnend mit dem Jahr 1792. Manchmal wurden beide Zeiten nebeneinander genannt, also neuer Revolutionskalender und den bisher gebräuchlichen. In diesem Fall wäre die Angabe „das 12. Jahr der Französischen Republik“ (= 22.9.1803 bis 21.9.1804), dahinter in römischen Ziffern MDCCCIV (1804). Bis zum Dreißigjährigen Krieg war Kurpfalz Eigentümer von Burg und Amt Berwartstein. Am 1641 verlieh Kaiser Ferdinand III. den Besitz an Freiherr Gerhard von Waldenburg. Ende des 18. Jahrhunderts verwaltete der Erlenbacher Schultheiß Franz Josef Dahm den Besitz für den Freiherrn. Als die Revolutionäre ins Land zogen, flohen die Feudalherrn und ihre Amtsleute. Wie erwähnt emigrierte Dahm mit Familie nach Mannheim. Der Waldenburgische Besitz wurde von der französischen Nation beschlagnahmt und mit der Versteigerung
begonnen. Dagegen legte Dahm Beschwerde ein. Im Namen der Freiherrn kämpfte er um die Aufhebung der Beschlagnahme, welche er 1804 erreichte. Wenige Monate später ging der Besitz mit Burg und Berwartsteiner Hof absprachegemäß und notariell an Dahm über. Die Formulierung im Text „auch unß in dis Freyherrn Besitz“ zeigt eindeutig, dass Dahm der Auftraggeber für den Stein war. Anlass dürfte die Beendigung des jahrzehntelangen Streites um den Besitz gewesen sein. Die Platte mit dem profanen Text zierte wahrscheinlich einmal die Außenwand eines herrschaftlichen Hauses. Als solches ist damals im Dorf nur das Kellereihaus am Berwartsteiner Hof bekannt. 1809 verlies Schultheiß Dahm diesen Hof, verpachtete ihn und errichtete 1810 das Hedwigshaus, wo die Platte nun eine Zweitverwendung fand. Bürgermeister Eichberger hat die Steinplatte erhalten und, wenn man den Hof betritt, an der Wand rechts des Ökonomiegebäudes für Jedermann sichtbar angebracht.